Heiß diskutiert: Ist der Diesel wirklich an allem schuld?
Dieselautos sind zu den Buhmännern der Nation geworden. Sie stehen im Fokus vieler Debatten um Fahrverbote, werden als Auslöser der Umweltskandale angesehen. Keine Frage: Als Auslöser hoher Stickstoffwerte in den Innenstädten trifft die Aussage durchaus zu. Sind Dieselfahrzeuge aber wirklich alleine schuld an dem Dilemma rund um die schlechte Luft? In manchen Bereichen sprechen die Fakten eine ganz andere Sprache.
Die Dieselkrise lässt sich in der Bundesrepublik nicht mehr wegdiskutieren. Um die Krise zu entschärfen, fordern Politiker Hardware-Nachrüstungen, Software-Updates und denken selbst über Flottenwechsel nach. Mit einem ganzen Maßnahmenbündel sollen die Ziele erreicht, Fahrverbote ausgeklammert werden.
Gut zu wissen: Eine blaue Plakette wird es für Dieselfahrer nicht geben. Von Fahrverboten ausgenommen werden Dieselautos der Euro 6-Norm und jene Fahrzeuge, die weniger als 270 mg NOx je gefahrenen Kilometer ausstoßen. Dies soll auch für die Abgasnormen Euro 4 beziehungsweise Euro 5 gelten, sofern die entsprechenden Autos die oben genannte Hürde durch Messverfahren tatsächlich unterschreiten.
Verunsicherte Autofahrer stellen sich die Frage, ob sie auch künftig auf ein Dieselauto setzen können oder besser einen Benziner kaufen sollten. Einige Medien sprechen aktuell von einem Zwischenhoch pro Diesel. Im aktuellen Jahr 2019 stieg der Marktanteil auf bis 32,4 Prozent an, im Vergleich zu 2015 ist er von den damaligen Zahlen aber weit entfernt: 46,5 Prozent. Eine Antwort könnte an den hohen Rabatten der Hersteller liegen, eine andere dürfte mit Benzinmodellen zusammenhängen, die schlicht nicht ausgeliefert werden konnten. Wie sich die Zahlen weiterentwickeln werden, steht jedoch noch in den Sternen. Fest steht: Dieselautos sind momentan gefragt.
Autohändler stöhnen über steigende Belastungen, verursacht durch deutlich gesunkene Marktwerte um bis zu 25 Prozent. Zusätzlich werden ihre Höfe von älteren Dieselfahrzeugen überschwemmt, woran die Hersteller mit neuen Umtauschprämien beteiligt sein dürften. Die Situation zwingt immer mehr Händler in die Knie. Alleine 2018 fiel die Zahl der Autohäuser um 720 Betriebe. Das Bild des Dieselmotors ist mehr oder weniger positiv geblieben. Erfüllt er die moderne Abgasnorm Euro-6-TEMP, dürfte er noch immer eine Zukunft haben. Für Vielfahrer könnte sich sogar ein wenige Jahre alter Diesel noch lohnen, sofern sie nicht allzu oft in Innenstädten bewegt werden.
Kommt bald eine neue CO2-Steuer für Autos?
Noch lässt die politische Entscheidung über die Einführung einer CO2-Steuer auf sich warten. Vorgeschlagen wurde sie der Bundesregierung von einer Gruppe Innovationsberater. Ihrer Meinung nach müsste der Ausstoß von klimaschädlichem Kohlendioxid stark verteuert werden, um in Sachen Energiewende die geplanten Verbesserungen möglich zu machen. Sie erhoffen sich durch die Steuer eine durchschlagende Wirkung auf die bereits vorhandenen und höchst innovativen Techniken und Geschäftsmodelle.
Teurer werden dürfte danach der Verbrauch von Benzin, Diesel und Erdgas, was dem Einsatz der Elektromobilität, der damit verbundenen Batterietechnik und deren Aufladung aus erneuerbaren Energiequellen auf die Sprünge helfen dürfte. Auf diesem Weg sollen fossile Energieträger finanziert werden, Investitionen nachhaltiger Technologien gefördert werden. Eine weitere Voraussetzung wäre die Reduzierung der Kosten, Umlagen und Abgaben für Strom, um beispielsweise den Einsatz elektrischer Wärmepumpen möglich zu machen.
Zu beobachten ist eine Kaufverlagerung vom Diesel- zum Benzinmotor, obwohl sich die Vor- und Nachteile nur marginal unterscheiden. Die Anschaffungskosten sprechen für einen Benziner, aufgrund der technischen Entwicklung herrscht bei der Wirtschaftlichkeit für beide Aggregatetypen Gleichstand. Auf der Verbrauchsseite spricht vieles einen Dieselmotor, bei sinkenden Zahlen bis 2020 auf weniger als 20 Prozent. Blickt man zurück, lag der Vorteil beim Verbrauch bei rund 30 Prozent.
Die Sichtweise ändert sich, wenn man sich die weltweite Dieselvermarktung anschaut. Danach wäre ein Dieselfahrzeug ein rein europäisches Phänomen. Auf dem amerikanischen Markt wird das überdeutlich. Dort sind lediglich drei Prozent aller verkauften Fahrzeuge mit einem Dieselmotor ausgerüstet. In Europa liegt die Nachfrage nach Dieseln mit den hier geltenden Steuervorteilen zusammen. Vergleiche zeigen eine Verschiebung der Märkte aus. Im Bereich der Kleinwagen befinden sich Dieselmotoren bereits auf dem Rückzug. Anders sieht es aus in der Mittel- und Oberklasse, wo es auch künftig noch weiter „dieseln“ dürfte. Noch ist ein endgültiger Sieger nicht feststellbar. Die Elektromobilität ist zwar weiter auf dem Vormarsch. Ob sie wirklich eine Alternative zu Diesel- oder Benzinmotoren werden können, ist aber noch nicht sicher. Auch wenn die Antriebsarten Erd- oder Autogas sowie die Hybridtechnik nach einer machbaren Lösung aussehen könnten. Fest steht, dass der Umwelt zuliebe neu gerechnet werden müsste. Trotz aller politischen Meinungen bezüglich der Ziele der CO2-Steuer.
Immer mehr Gerichte verhängen Fahrverbote
Mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Februar 2018 wurde erstmals der Weg frei für mögliche Fahrverbote. Das Urteil hatte Signalwirkung, ihm folgten immer mehr Städte. Als erste Stadt setzte Hamburg Fahrverbote für ältere Dieselautos um, gefolgt von der deutschen Umwelthilfe mit ihren Klagen gegen Städte wegen überhöhter Luftverschmutzung. Aktuelle Fakten im Einzelnen:
Darmstadt
Start für Fahrverbote für ältere Diesel bis zur Euro-6-Norm ist der 1. Juni 2019. Darauf hat sich die Kommune mit der Deutschen Umwelthilfe in einem außergerichtlichen Verfahren geeinigt. Betroffen sind zunächst zwei Straßen der hessischen Universitätsstadt.
Frankfurt am Main
Die Bankenmetropole hat als eine der ersten Städte Fahrverbote für ältere Dieselautos per Gerichtsbeschluss innerhalb des Raums des Autobahndreiecks ausgesprochen. Geplant war die Gültigkeit ab Februar 2019, die Umsetzung scheiterte jedoch am Veto der Stadt per Eilantrag, was die Richter jedoch ablehnten.
Stuttgart
Für die Umweltzone der Innenstadt gelten Fahrverbote bis inklusive der Euro-4-Diesel seit dem Jahreswechsel 2018/2019. Ab 1. April 2019 wurde das Fahrverbot auf Bewohner Stuttgarts ausgeweitet, die bislang nicht betroffen waren.
Sind Fahrverbote das Maß aller Dinge?
Juristen halten Fahrverbote für unrechtmäßig, und empfehlen vor Verwaltungsgerichten dagegen zu klagen. Auch Mediziner haben sich ihre eigene Meinung gebildet, halten die Verbote für wissenschaftlich unseriös. Vertreter der Umweltorganisation Greenpeace halten Fahrverbote nur unter dem Aspekt für sinnvoll, wenn die Gestaltung der gesetzlichen Vorgaben verbessert werden und fordern Zielformulierungen, nach denen ganz Städte oder innerörtliche Teilgebiete komplett von Dieselabgasen befreit werden. Logischerweise setzen sie dabei auf eine Verkehrswende, also weg von Diesel- und Benzinmotoren, Wechsel zu umweltfreundlichen Bussen und Radwegen. Die Diskussionen über Pro und Kontra dürften noch einige Zeit weitergehen. Ausbaden müssen es am Ende die Autofahrer.
Wie sinnvoll Grenzwerte von 40 Mikrogramm wirklich sind
Der Dieselnotstand ist in der Bevölkerung angekommen. Die gesetzten Grenzwerte, aktuell 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Stickstoffdioxid, aber bleiben fraglich. Zumal im Vergleich zum Ausstoß an Arbeitsplätzen, deren Werte laut der Bundesanstalt für Arbeitsschutz bei 60 Mikrogramm pro Kubikmeter Innenraumluft liegen dürfen. In Produktionshallen sind die Werte noch wesentlich höher angesetzt: 950 Mikrogramm! Und zwar rund bis zu acht Stunden täglich.
Betrachten man die Grenzwerte an 246 bundesdeutschen Messstationen, liegen wesentlich niedriger, könnten laut Expertenmeinung sogar noch präziser sein. Zieht man die NO2-Emissionen von Kraftfahrzeugen zurate, stammen rund 71 Prozent aus PKW und davon rund 67 Prozent von Dieselmotoren. Die Wissenschaftler scheinen demnach mit ihren Zweifeln richtig zu liegen und sprechen den festgelegten Grenzwerten sogar die Plausibilität hinsichtlich der automatisch verbleibenden Gesundheitsschäden bei Überschreitungen ab. Ähnlich hohe Werte findet man nur in der Schweiz, in Österreich, innerhalb der EU sowie in den USA. Ein Fazit, das zum Nachdenken anregend sollte: Nirgendwo sonst in Europa gibt so strenge Umweltzonen wie in der Bundesrepublik. Die Frage zur realistischen Festlegung der Grenzwerte von 40 Mikrogramm im Freien können noch diskutiert werden, um die Dieselhysterie in den Griff zu bekommen.
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