Interview mit Finanzprofi Patrick Hussy
Da Frankfurt nicht weit entfernt ist, wohnen mehrere internationale Finanzprofis in Aschaffenburg. Darunter Patrick Hussy, Geschäftsführer von sentix, der sehr renommierten und größten europäischen Kapitalmarktumfrage. Viele Anleger, darunter auch Top-Adressen, die sehr viel Geld verwalten, schauen auf „den sentix“, um zu wissen, wie es an den Finanzmärkten weiter geht und wie Aktien und Anleihen sich entwickeln. Der 43-jährige Hussy stammt aus Waldaschaff und wohnt seit vielen Jahren in Nilkheim. Karriere in Frankfurt hat er von 1999 bis 2010 als Portfoliomanager beim Vermögensverwalter der Sparkassen Deka gemacht und sentix mit aufgebaut. Anschließend hat er sich mit seinem Mit-Geschäftsführer Manfred Hübner mit sentix selbständig gemacht. Neben der Investorenumfrage betreuen Hussy und Hübner auch mehrere Investmentfonds, darunter auch für große Investoren. Uns ist es gelungen, den renommierten Finanzprofi für ein Interview zu gewinnen.
Herr Hussy, gestatten Sie angesichts des anhalten Aufschwungs am Aktienmarkt und neuer Höchststände des Deutschen Aktienindex Dax eine Frage, bevor wir auf sentix zu sprechen kommen. Kann sich Ihrer Meinung nach der Kursaufschwung fortsetzen oder ist die Börse schon zu heiß gelaufen?
Wir gehen davon aus, dass die Aktienmärkte in 2015 noch ein gehöriges Stück weiter nach oben laufen. Die Konjunktur in Europa wird viele auf der positiven Seite überraschen.
Wie hoch kann der Dax in diesem Jahr noch klettern? Welchen Stand erwarten Sie?
13.000 Punkte sind für 2015 möglich. Dies hatten wir Mitte Dezember 2014 als Prognose formuliert. Damals waren wir noch bei 9.500 Punkten. Von heute aus gerechnet hört sich das weniger spektakulär an.
Die Börse ist ja bekanntlich keine Einbahnstraße: Halten Sie größere Rückschläge am deutschen Aktienmarkt für wahrscheinlich? Wann im Jahresverlauf könnte es gemäß Ihrer Analyse vielleicht gefährlich werden?
Man muss wissen, dass diese Börsenhausse im Wesentlichen auf den Schultern der Notenbanken ruht. Wird deren Tun entzaubert, wird es gefährlich. Davon gehen wir in 2015 nicht aus. Für die Zeit danach sollte man sich aber für ein solches Szenario rüsten. Vorerst regiert der Anlagenotstand: Zinsen gibt es de facto nicht mehr, sie sind von den Notenbanken nach unten geschleust worden und teils schon im negativen Terrain. Wussten Sie, dass weltweit ein Vermögen von mehr als 7.500 Milliarden US-Dollar bereits negativ verzinst wird?
Die wöchentliche Kapitalmalmarktumfrage sentix beruht auf der so genannten Behavorial Finance. Können Sie unseren Lesern kurz erläutern, worum es dabei geht.
Die Behavioral Finance ist eine noch relativ junge Finanzwissenschaft, die sich mit dem menschlichen Entscheidungsverhalten an den Börsen beschäftigt. Es geht dabei einfach gesprochen um Börsenpsychologie. Dabei wird unterstellt, dass Menschen selten rational handeln. In der Wissenschaft wurde längst nachgewiesen, dass Emotionen Kurse machen. Forscher der Behavioral Finance wurden deshalb 2002 und 2013 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichnet. Auf diesen Erkenntnissen bauen wir in unseren Analysen auf.
Die sentix-Umfrage findet wöchentlich in standardisierter Form freitags und samstags per Email statt. Wie viele Teilnehmer haben Sie?
Registriert sind bei uns mehr als 5.000 Investoren weltweit. Davon nehmen rund 1.000 Investoren pro Woche an den Umfragen teil. Die Umfrage läuft nunmehr seit über 14 Jahren.
Können auch Privatanleger bei sentix mitmachen? Entstehen irgendwelche Kosten für die Teilnehmer?
Jeder interessierte Privatanleger kann an der Umfrage teilnehmen. Notwendig ist lediglich ein allgemeines Interesse am Börsengeschehen. Kosten entstehen keine. Die Idee lebt vom Mitmachen! Wichtig ist auch für jeden einzelnen: Seine Einschätzungen bleiben anonym.
Warum nehmen so viele Anleger bei sentix teil? Welche Vorteile haben Sie dadurch?
Das System ist einfach: Die Teilnehmer geben Informationen und erhalten dafür welche. Der Aufwand für den Einzelnen ist überschaubar: Die standardisierte Umfrage übers Internet dauert ca. drei bis fünf Minuten pro Woche und dafür erhält der Teilnehmer bereits zwei Tage später eine exklusive Auswertung. Der Anleger schaut quasi in den Spiegel und bekommt reflektiert, ob er gerade so tickt wie die Masse oder eben nicht. Hieraus kann der Einzelne dann Schlüsse für seine Investments ziehen.
Wann stehen die Ergebnisse der sentix-Datenerhebung zur Verfügung?
Wir sind mit unserer Erhebung verdammt schnell. Die Umfrage findet von Donnerstagabend bis samstags statt, bereits am Sonntagabend kennen unsere Kunden die Ergebnisse und sind für die neue Börsenwoche bestens gerüstet.
Welche Daten fragen Sie beim sentix ab?
Wir wollen die Stimmung für unterschiedliche Aktienmärkte, Renten wie auch Währungs- und Rohstoffmärkte erfassen. Ob Dax, Euro Stoxx 50, S&P 500 oder auch der japanische Nikkei, die Facetten der Betrachtung sind reichhaltig. Aber auch zum Gold oder zum Euro heben wir wichtige Informationen.
Warum sind die Einschätzungen der Anleger für Aktien-, Devisen- und Anleihemärkte so wichtig?
Unter den 5.000 registrierten Investoren befinden sich mehr als 1.000 institutionelle Anleger von Banken, Versicherungen, Fondsgesellschaften und Pensionskassen. Diese repräsentieren ein Anlagevolumen von mehr als 500 Milliarden Euro. Daher dürfte es auch für jeden Privatanleger spannend sein zu sehen, was diese Profis erwarten und wie sie sich an den Börsen verhalten.
Sie fragen aber nicht nur nach den Einschätzungen, sondern auch nach der bereits vorhandenen Positionierung der Anleger an den Märkten. Warum ist diese so wichtig?
Wer wissen will, wohin morgen die Anlagegelder fließen, muss wissen, womit sich die Anleger heute beschäftigen, was sie erwarten und wie sie jetzt positioniert sind. Messen wir Kaufabsichten für einen bestimmt Markt, lassen sich mit Verzögerung dann auch reale Wertpapierkäufe beobachten. „Menschen machen Märkte“ ist einer unserer Slogans.
Was ist das Interessante, wenn Sie Einschätzungen und Positionierungen verknüpfen?
Die Psychologie der Anleger! Denn Erwartungen und Handlungen müssen nicht immer Hand in Hand gehen. Insbesondere, wenn Erwartungen nicht konsequent umgesetzt werden, entstehen kognitive Dissonanzen, die wir dann aufdecken und deren Einfluss auf das Marktgeschehen analysieren.
Die Zinsen an den Anleihemärkten für sichere Anlagen sind extrem niedrig. Was erwarten Sie: Dürfte das so bleiben?
Wir haben bei den Anlegern jahrelang Erwartungen für steigende Zinsen gemessen. Jetzt, wo für Bundesanleihen bis zu sechs Jahren Restlaufzeit sogar negative Zinsen bezahlt werden, sind diese Prognosen verstummt. Das lässt uns hellhörig werden. Gelten die Argumente der vergangenen Jahre nicht mehr oder setzt das Notenbank-Regime die vorhandenen Regeln außer Kraft? Das Beispiel der Schweizer Notenbank zeigt uns auf, welche Folgen es haben kann, wenn Markteingriffe plötzlich wegfallen. Der Schweizer Franken wertete über Nacht um 15 Prozent auf. Genau deshalb sind wir am Zinsmarkt sehr, sehr vorsichtig!
Patrick Hussy (rechts) und Manfred Hübner von sentix
Viele Börsenbeobachter setzen jetzt auf Aktien mit einer hohen Ausschüttung, sprich Dividende. Oft ist davon die Rede, dass die Dividende der neue Zins sei. Was meinen Sie dazu?
Aktien gehören in ein gut diversifiziertes Portfolio. Aber Aktien alleine wegen den Dividenden zu kaufen, ist für mich eine gewagte These. Denn die Kursschwankungen auszublenden mag ein guter Vorsatz sein, psychologisch gelingt es den wenigsten Anlegern. Die Schwankungen sind im Vergleich zum Rentenmarkt durchschnittlich fünfmal so hoch. Werden diese nicht ausgehalten, führt das meist zu prozyklischen Verkäufen – leider häufig zur Unzeit, wenn die Verluste nicht mehr ausgehalten werden. Auch das ist Psychologie!
Haben Sie aufgrund der sentix-Daten eine bestimmte Erwartung für die Entwicklung des Euros gegenüber dem US-Dollar?
Ja, und zwar eine sehr konkrete: Im letzten Jahr konnten wir noch eine massive Pro-Haltung der Investoren zum US-Dollar messen. Die Aufwertung der US-Valuta kam im Anschluss. Seit der Jahreswende drehen sich die Vorzeichen in unseren Indikatoren. Wir können daraus ableiten, dass spätestens zur Jahresmitte 2015 der Euro an Wert zulegen sollte.
Und wie schätzen Sie vor dem Hintergrund der sentix-Aussagen aktuell Gold ein?
Gold bleibt ein Liebling der Privatanleger. Diese haben trotz der Kursrückgänge in 2013 und 2014 dem gelben Edelmetall die Treue gehalten. Für die Institutionellen ist diese Erwartungshaltung bei weitem nicht so ausgeprägt. Wir erwarten in den nächsten Monaten eine Stabilisierung des Goldpreises und dann ein leichtes Anziehen der Notierungen im späteren Jahresverlauf.
Die Deutschen legen nur relativ wenig Geld in Aktien an. Worauf führen Sie das zurück?
Der Deutsche sieht die Aktienanlage viel zu kurzfristig. Ruhe und Geduld gehören zu einer erfolgreichen Anlagestrategie. Dann treten Kursschwankungen in den Hintergrund und der langfristige Wertzuwachs gewinnt an Bedeutung.
Sollten die deutschen Anleger tendenziell mehr Geld in Aktien anlegen, zumal es für Bundesanleihen und Festgelder kaum mehr Zinsen gibt?
Ich fordere dies insbesondere für alle Bereiche unserer Altersvorsorge. Hier ist der Anlagehorizont so lange, dass genau die Vorteile der Aktienanlage zum Tragen kommen. Welche Ertragsperspektive haben Festverzinsliche im Vergleich noch?
Wie wichtig ist die Streuung bei der Geldanlage?
Es gibt eine Reihe von Börsenweisheiten, die einem diese Regel ans Herz legen. „Nicht alle Eier in einen Korb zu legen“ ist ein Ratschlag, der auch weiterhin gilt.
Was sollten Anleger Ihrer Ansicht nach tun, um Risiken zu begrenzen?
Im Anlagegeschäft ist derjenige erfolgreich, der diszipliniert an die Sache herangeht. Disziplin bei der Auswahl seiner Investments ist genauso wichtig wie Disziplin im Umgang mit Verlusten. Am besten man erstellt im Vorfeld ein klares Regelwerk und hält sich dauerhaft an dieses. Aber: Wir wissen, dass dies für Menschen nicht einfach ist. Disziplin ist oftmals langweilig, wir Menschen lieben schöne Unternehmensgeschichten und lassen uns von Modewellen begeistern – auch an den Börsen. Deshalb ist die Behavioral Finance für uns so wichtig!
Zurück zum deutschen Aktienmarkt: Wird sich der Dax-Anstieg in den kommenden Jahren fortsetzen? Dürfte sich die Aktienanlage langfristig lohnen?
Ja, lohnen wird es sich langfristig, aber die Schwankungen werden eher zunehmen. Denn das süße Notenbankgeld wird irgendwann auch wieder den Märkten entzogen werden müssen. Mit sentix sind wir am Puls der Zeit und werden sicher das eine oder andere Warnsignal im Vorfeld messen können.
Was würden Sie unseren Lesern bei der Geldanlage noch raten? Welche Punkte sind besonders wichtig?
Achten Sie auf eine ausgewogene Mischung in der Geldanlage. Die Dosis macht am Ende das Gift. Und suchen Sie sich notfalls einen guten Berater, der Sie planvoll unterstützt.
Lieber Herr Hussy, vielen Dank für das interessante Interview. (csr)Gepostet in: