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Exklusiv-Interview mit Handball-Legende Kurt Klühspies

Kurt Klühspies über den Erfolg des großen TVG-Teams, den Gewinn der Weltmeisterschaft 1978, den verhinderten Olympiasieg, einen China-Aufenthalt 1979 und was beim TVG jetzt zu tun ist. Er hat im Handball – bis auf den durch den Boykott verhinderten Olympiasieg – alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt ,und war dabei ein Führungsspieler: 1978 Weltmeister mit der Deutschen Nationalmannschaft, 1979 und 1980 Gewinner des Europapokals der Landesmeister (heute heißt es Champions League) mit dem TV Großwallstadt (TVG), 1980 Gewinner des Supercups mit dem TVG sechsmal Deutscher Meister und zweimal Pokalsieger mit dem TVG. 1980 stand er in der Weltauswahl. In 456 Pflichtspielen für den TVG erzielte er 1.532 Tore, in er Nationalmannschaft waren es bei 102 Spielen insgesamt 253 Tore. Der heute 62-jährige Kurt Klühspies hatte als aktiver Handballer solch eine Klasse, dass er sogar nach Karriereende im Alter bis zu 41 Jahren mehrmals dem TVG erfolgreich helfen konnte als Not am Mann war. Wir haben in Aschaffenburg ein ausführliches Interview mit der Handball-Legende geführt. Weitere Informationen zu Kurt Klühspies finden Sie auch auf seiner Website www.kurt-kluehspies.de

Herr Klühspies, wie sind Sie zum Handball gekommen?

Ich komme aus einer Handballerfamilie, mein Vater und mein Bruder haben beim TV Erlenbach Handball gespielt. Ich hatte zunächst noch keine Lust auf Handball – vielleicht lag das daran, dass die ganze Familie gespielt hat. Ich habe dann aber mal ausgeholfen als in der Schülermannschaft ein Spieler gefehlt hat. Damals war ich 10 oder 11 Jahre alt. Von da an habe ich bei den Schülern und in der Jugend in Erlenbach Handball gespielt. Dazu habe ich Leichtathletik gemacht, vor allem auch die Wurfdisziplinen. Insofern habe ich damals bereits mehr trainiert als andere.

Warum sind Sie nicht Fußballer geworden, da waren Sie doch auch gut und hätten vielleicht Karriere gemacht?

Mein Vater hat die Karriere verhindert (lacht). Sie müssen wissen, mein Vater hat bereits als 16-jähriger Fußballer bei Kickers Würzburg in der 1. Mannschaft gestanden. Er hat sich beim Fußball schwer am Fuß verletzt und wurde Handballer .Deshalb wollte er nicht, dass seine Söhne Fußball spielen. In der Fußball-Schulmannschaft stand ich im Tor, ich war ja mit der Längste, hatte ein gutes Stellungsspiel und konnte sicher den Ball fangen. Ein Fußballspiel habe ich mit der Schülermannschaft der Viktoria Erlenbach gemacht.

Aber das große Team vom TV Großwallstadt (TVG) war doch auch gut im Fußball?

Während der Sommerpause haben wir in Freundschaftsspielen gegen alle Mannschaften bis zur Bezirksliga mithalten können. Wir waren ja durchtrainiert und haben in der Halle, um uns warm zu machen, auch laufend Fußball gespielt.

Wie sind Sie denn zum TVG gekommen?

In Erlenbach habe ich in der Jugendmannschaft gespielt und bin natürlich dem TVG als erfolgreicher Linkshändler aufgefallen. Darum hat mich der TVG-Trainer Erhard Merget schon mit 17 Jahren zum Training nach Großwallstadt geholt. Der TVG war natürlich sehr interessiert an guten Spielern aus der Region, das war auch schon damals so. Mein erstes Spiel für den TVG in der Handball-Bundesliga habe ich 1970 als gerade 18-jähriger gemacht.

Sie waren ja auch letzter deutscher Feldhandballmeister 1973, das war die erste Deutsche Meisterschaft des TVG. Wie war das damals?

Feldhandball kennt ja kaum einer mehr. Es wurde im Sommer im Freien auf dem großen Feld (Fußball-Feld) gespielt und wir hatten bei Heimspielen bis zu 10.000 Zuschauer. Das Interesse war groß: Zum TVG Endspiel 1967 gegen Dankersen kamen 23000 Zuschauer nach Offenbach. 1973 haben wir in Wetzlar die letzte deutsche Meisterschaft im Endspiel gegen Kassel gewonnen. Es war ein enges Spiel und wir siegten nach Verlängerung. Danach wurde die Feldhandball-Bundesliga eingestellt und wir spielten nur noch in der Hallen-Bundesliga. Aber auch in der Halle wurden wir dann bald Deutscher Meister.

Woher kamen die Fitness des TVG und Ihre Fitness?

Wir haben eine Trainingseinheit mehr als die anderen absolviert. Unser Trainer Klaus Zöll war da seiner Zeit weit voraus. Unser Konkurrent Gummersbach hat viermal die Woche trainiert, wir fünfmal: Training war jeweils abends von Montag bis Donnerstag, Freitag war dann frei und samstags Spiel, das Training am Sonntag war dann vorwiegend Regeneration. Wir waren Amateure und haben neben acht Stunden Arbeit oder Schule und Ausbildung Handball gespielt. So hatten wir alle eine gesicherte Existenz neben und nach dem Handball.

Warum war der TVG in den siebziger und achtziger Jahren so erfolgreich bis hin zum Gewinn des Europapokals für Landesmeister? Was war das Erfolgsrezept?

Wir hatten die richtigen Spieler beim TVG und das Team hat gestimmt. Es gab zwei, drei Leithammel und die anderen haben mitgezogen. Wir wollten auch immer gewinnen, der Siegeswillen war immer da. So haben wir mit dem TVG 52 Heimspiele hintereinander gewonnen 104:0 Punkte. Wir kamen auch alle aus der Region, im Umkreis von 100 Kilometern. Die Mannschaft hat gestimmt und wir haben unsere Erfolge auch immer zusammen gefeiert. Wir sind zudem eine gewachsene Mannschaft gewesen, wir waren, anders als heute, als Team vier, fünf Jahre zusammen. Nur dadurch, dass wir auch entsprechend trainiert haben konnten wir international mit den Ostmannschaften, bei denen die Spieler Staatsprofis waren, mithalten.

1978 sind Sie Weltmeister geworden und haben Im Endspiel die Russen geschlagen. Wie wichtig war Nationaltrainer Vlado Stenzel?

Vlado war der Vater des WM-Siegs. Er war ja bereits 1972 Olympiasieger mit Jugoslawien gewesen und brachte erstmals profihafte Trainingsmethodik nach Deutschland. Er hat nach der WM 1974 sich von den Alten getrennt und junge Spieler geholt. Er hat in Dortmund vier Nachwuchs-Mannschaften gegeneinander spielen lassen und die besten ausgewählt. Dann hat er uns in mehrwöchigen Trainingslagern für die großen Turniere fit gemacht.

Und was war das Besondere an der 78er-Mannschaft?

Wir waren ein junges Team, mit einem Altersdurchschnitt von 23 Jahren der jüngste Weltmeister überhaupt, bei dem es auch menschlich gut gepasst hat. Entscheidend war das Gerippe aus Gummersbach (fünf Spieler) und Großwallstadt (vier Spieler). Und im Rückraum spielten mit Deckarm, Brand und Klühspies drei, die sich fast blind verstanden. Wir haben seit 1970 in der Jugendnationalmannschaft zusammengespielt und waren und sind auch heute noch privat befreundet. Das Team von 1978 trifft sich übrigens noch zwei Mal im Jahr. Wir sind alle heute noch gut befreundet.

Welche Trainer waren für Sie wichtig?

In der Nationalmannschaft Vlado Stenzel und beim TVG vor allem Klaus Zöll. Darüber hinaus Felix Schmacke, der es beim TVG 1980 verstand, ein Erfolgsteam richtig zu führen, so dass wir damals in einer Saison alles, was es zu gewinnen gab, auch gewonnen haben: Vier Titel.

Warum hat es nicht mit einem Olympia-Sieg geklappt, Sie waren doch 1980 die besten?

Weil Russland 1979 in Afghanistan ein marschiert ist, was zum Olympiaboykott West-Deutschlands der Spiele 1980 in Moskau führte. Wir hatten mit der Nationalmannschaft bei 25 Länderspielen nicht mehr verloren und waren damit klarer Favorit für Moskau. 1976 in Montreal waren wir als nicht etabliertes Team gegen Russland von den Schiedsrichtern verpfiffen worden und kamen daher nicht ins Endspiel. Im Spiel um den dritten Platz gegen Polen hat uns dann ein wenig die Kraft gefehlt, weil Vlado Stenzel uns den Tag zuvor frei gegeben hatte und wir dies zum Besuch der Weltausstellung in Montreal nutzten – da sind wir vielleicht zu viel gelaufen (lacht). So wurden wir nur Vierter.

Was war Ihr größtes Spiel? An welches Spiel haben Sie besondere Erinnerungen?

Highlights waren natürlich das WMEndspiel 1978 und der Gewinn des Europapokals der Landesmeister 1979 gegen Empor Rostock. Auch das Spiel, in dem wir uns 1975 gegen die DDR für Olympia qualifizierten und Manfred Hofmann in der letzte Sekunde den entscheidenden Siebenmeter hielt, war ein Höhepunkt; wobei wir uns mit den Spielern der DDR trotz der politischen Brisanz persönlich gut verstanden haben. Psychologisch sehr schwierig für uns war 1979 das Europapokalspiel mit dem TVG in Budapest, einen Tag nach dem schweren Unfall von Joachim Deckarm.

Sie haben beim TVG nach Ihrem Karriereende noch mehrmals erfolgreich ausgeholfen als Not am Mann war. Bis 1993 im Alter von 41 Jahren. Wie war das möglich?

Dazu muss man Glück mit der Gesundheit und den „Knochen“ haben, dass man mit 40 noch fit ist. Erfahrung spielt im Handball eine große Rolle. Spielverständnis und ein gutes Auge verliert man nicht, das gilt vor allem auch für die Deckung.

Was haben Sie sonst als Sportler erlebt?

Durch den Handball konnte ich die Welt kennenlernen. So sind wir 1979 mit der Nationalmannschaft drei Wochen nach Asien gereist, zwei Wochen nach China und eine Woche nach Japan. Dabei sind wir über Hongkong nach China gefahren und haben dort in Peking eine Stadt praktisch ohne Autos und mit vielen Einheitsuniformen gesehen. Als ich 2008 bei den Olympischen Spielen in Peking war, hatten sich China und Peking völlig verändert.

Sie engagieren sich in der Joachim-Deckarm-Stiftung. Welche Aufgaben hat diese?

Bei der Joachim-Deckarm-Stiftung bin ich einer der vier Botschafter. Die Stiftung sammelt Geld für die Betreuung unseres Freundes Joachim Deckarm, der nach seinem schweren Unfall 1979 beim Handball-Europapokalspiel in Tatabanya 131 Tage im Koma lag und seit dieser Zeit auf Betreuung angewiesen ist. Für die Stiftung haben wir seit 1981 zahlreiche Benefizspiele gemacht und Benefizveranstaltungen organisiert. Auch beim jährlichen Treffen des WMTeams 1978 ist „Jo“ Deckarm natürlich mit dabei.

In Deutschland dominiert der Fußball. Ist es nicht schade, dass die bevorstehende Handball-WM nicht einmal im Fernsehen übertragen werden soll?

Früher haben 15 bis 20 Millionen Zuschauer unserer Europapokalspiele, die in ARD und ZDF übertragen wurden, verfolgt. Heute wird Fußball im Fernsehen bis in die 4. Liga übertragen, während über Handball wie auch über alle anderen Sportarten kaum berichtet wird, oder nur auf Spartensendern. Das ist wirklich schade. Gerade die öffentlich-rechtlichen Sender sollten breiter und ausgewogener berichten, sprich wieder mehr über Handball und auch über andere Sportarten. Handball ist übrigens im TV sehr spannend und es fallen viel mehr Tore als im Fußball. Wir brauchen wieder mehr Präsenz in den Medien.

Der TVG spielt inzwischen in der 2. Liga. Was fehlt dem TVG im Vergleich zu früher? Was muss beim TVG jetzt passieren?

Natürlich sind in den vergangenen Jahren auch Fehler gemacht worden, die zu dem Abstieg geführt haben. Auch ist aufgrund der Hallengrößen und der Professionalisierung des Sports insgesamt die Zeit der national und international führenden Dorfvereine ganz klar vorbei. Wichtig ist jetzt, dass die Region hinter dem TVG steht und mehr regionale Sponsoren sich beim TVG engagieren – jedes Unternehmen nach seinen Möglichkeiten. Dann sollte mit ein oder zwei neuen Spielern zur Rückrunde auch der wichtige Aufstieg in die 1. Liga möglich sein. Ich glaube, mit Zusammenhalt, Teamgeist und Unterstützung durch die Region kann auch heute noch viel erreicht werden.

Welche Ansatzpunkte gibt es beim TVG selbst?

Beim TVG gibt es den Hauptverein, die Bundesligamannschaft und die Jugendakademie. Besser wäre es, wenn alles unter einem Dach zusammengeführt würde. Wir müssen an einem Strang ziehen. Alles sollte auf jeden Fall noch besser koordiniert werden. Ganz wichtig ist es, Talente, die wir immer wieder haben, auch zu halten.

Lieber Kurt Klühspies, vielen Dank für dieses sehr interessante Gespräch. (wrü)
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